Freitag, 14. April 2017

Frühsozialisten 7: Die Zofinger Fraktion

Gustav Siegfried und Rudolf Sutermeister lernte Dietsch in seiner Zofinger Zeit kennen.



Gustav Siegfried war Fabrikant und Frühsozialist: politische Gleichheit genügt nicht, da sie durch die herrschende ökonomische Klasse unterminiert wird! Er war ein Anhänger der Gütergemeinschaft.

Rudolf Sutermeister war Armenarzt und Frühsozialist: alles Heil liegt in einer kommunistischen Umgestaltung der Gesellschaft! Er plante sozialistische Experimente und unternahm Realisierungs-versuche.

 
Aus der Jahresschrift der historischen Gesellschaft des Kantons Aargau (1976):
 
Zwei aargauische Frühsozialisten
 
Gustav Siegfried

Gustav Siegfried (26. Juni 1808 bis 3. Dezember 1843 in Zofingen) wuchs auf als Sohn des Rößliwirtes Johann Siegfried (1784-1857), der auch eine Metzgerei und eine Fuhrhalterei betrieb. Der Vater wird als freigebig geschildert. Nicht nur vornehme Gäste, wie 1843 die schweize-
rische Künstlergesellschaft, beherbergte er, sondern er nahm auf Anregung seiner Söhne auch politische Flüchtlinge, namentlich Polen, gastfrei in seinem Hause auf. Gustav Siegfried weilte 1824/1825 zu seiner kaufmännischen Ausbildung in Neuenburg. In Zofingen, im «Tanner»,
gründete er ein Fabrikationsgeschäft und verehelichte sich mit Euphrosyne Suter. Frühzeitig war er geistig eigene Wege gegangen; er interessierte sich, nach seiner eigenen Bekundung, für alle vaterländischen Angelegenheiten, nahm alle neueren Ideen in sich auf und verteidigte überall, wo er hinkam, das Schroffste. Früh brach er mit der Kirche und geriet zeitweilig mit Eltern, Verwandten und Bekannten in Zerfall.
Schließlich gelangte er «zu dem Schlüsse, zu welchem so wenige Politiker, Weltbeglücker und -herrscher kommen, zur Erkenntnis des einzig Wahren und Guten, zur Gütergemeinschaft», und ließ sich darin durch neue wertvolle Bekanntschaften immer mehr bestärken. Diese neue Gesamtansieht führte ihn auch zu einer neuartigen Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen seiner Heimat. Politische Gleichheit konnte ihm nicht genügen, überall sah er die noch zu tilgenden
Spuren wirtschaftlicher Ungleichheit, die das rechte Funktionieren der politischen Gleichheit in Frage stellten. 
1837 besuchte er die eidgenössische Militärschule in Thun. Einer seiner Kameraden, der spätere bernische Regierungsrat Dr. Schneider aus Nidau, schilderte ihn einige Jahre später als «einen ebenso vielseitig gebildeten als humanen Mann, der sich bei jeder Gelegenheit des Armen und Schwachen teilnehmend zeigte». Oft sprachen sie an den Abenden in Gesellschaft anderer «von
dem Einflüsse, den die neueren philosophischen Schulen, die vielen neuen Entdeckungen und die infolge derselben entstehenden Veränderungen in dem Organismus der Arbeit auf die sozialen Verhältnisse der zivilisierten Staaten in Zukunft haben werden. Dabei unterlagen auch
die saintsimonistische Lehre, die neuesten Versuche des Owenismus und die Schule Fouriers, selbst Piatos Republik, aber auch reaktionäre Lehren die damals in Frankreich einiges Aufsehen machten, bei einer Tasse schwarzen Kaffees unserer militärischen Kritik, wobei man sich gerne in der Behauptung von paradoxen Sätzen gefiel und da, wo es nicht gehen mochte, wohl auch den gordischen Knoten mit dem Säbel durchschnitt.» Siegfried legte dabei von allen am meisten literarische Kenntnisse und Proben tiefern Nachdenkens an den Tag. Ganz besonders verteidigte er «die Notwendigkeit eines freundlichen Verhältnisses der Kapitalisten und Fabrikherren zu den Arbeitern». Seinem Kameraden Schneider kam Siegfried um so achtenswerter vor, als er wußte, «daß er von Haus aus sehr vermöglich, Miteigentümer und Vorstand eines bedeutenden Fabrikgeschäftes ist». 
1841 war Siegfried in Paris, lernte einzelne sozialistische Theoretiker persönlich kennen und brachte nach seinem eigenen Zeugnis die ganze sozialistische Literatur mit nach Hause, von der er manches schon früher kennengelernt hatte. Cabets «Voyages en Icarie» hatte er von dem frühverstorbenen, von ihm verehrten Kehrwand geschenkt bekommen.
Als im Jahre 1842 W. Weitling, einer der ersten deutschen originalen Theoretiker des Kommunismus, aus Paris in die Schweiz übersiedelte, trat er auch mit Siegfried in Verbindung. Er mochte von ihm gehört haben, konnte aber nicht recht glauben, daß einer, der selbst «Kramerei» treibe, der Gütergemeinschaft wirklich huldigen könne, und Siegfried gab ihm nun denjenigen Aufschluß über seine persönliche Entwicklung, seine Ansichten und Ziele, den wir oben verwertet haben. Nach diesem ersten Brief aus dem Juli 1842 bricht nun aber die Korrespondenz, soweit erhalten, ab, die ferneren neun Briefe an Weitling fallen alle in das Jahr 1843, der letzte ist am 8. Juni, dem Tag vor Weitlings Verhaftung, geschrieben.
Als Weitling ihm seine «Garantien der Harmonie und Freiheit» zuschickte, bedurfte er des Exemplars nicht, hatten doch er wie sein Bruder Friedrich Samuel, der Jurist und aargauische Regierungsrat, das Buch bereits in der Buchhandlung gekauft und gelesen. Siegfried beteiligte sich bald tätig an der Verbreitung von Weitlings Zeitschrift «Die junge Generation», die 1842/1843 nacheinander in Lausanne, Vevey und Langenthal herauskam. Zeitweilig besorgte er gar die Druckkorrekturen und
lieferte auch einzelne Beiträge. Ebenso wichtig aber schien es ihm, solchBeiträge in radikalen Blättern, wie dem Aarauer «Posthörnchen» oder der Badener «Dorfzeitung», unterzubringen, war es ihm doch ein Anliegen, daß man ihre Sache nicht totschweige, sondern von ihr rede, sei es auch in Form der polemischen Auseinandersetzung. Siegfried trat, wie es scheint, auch Weitlings «Bund der Gerechten» bei.
Seines Mitbürgers R. Sutermeister Versuche, durch die Verwirklichung kleiner Lebensgemeinschaften auf gemeinwirtschaftlicher Grundlage dem allgemeinen Kommunismus vorzuarbeiten, lehnte er aus nationalökonomischen wie aus taktischen Erwägungen ab; er sagte ihnen ein rasches Scheitern voraus und war der Ansicht, daß derartige zu w enig fundierte Versuche, wenn sie, nach außen hin, an der Entzweiung und dem Eigennutz der Mitglieder schließlich scheiterten, der Sache mehr schaden als nützen könnten. Er trat für unablässige Propaganda ein, und zwar mehr bei den unverbildeten Handarbeitern als bei den Gebildeten und Politikern, und es scheint, er hätte nicht davor zurückgeschreckt, den geeigneten Moment, wenn er sich bot, zu einer revolutionären Umwälzung zu benützen. Zugleich aber war er im Sommer 1843 mit dem Neubau seiner Fabrik sehr stark beschäftigt, konnte Weitling nicht so stark helfen, wie er es eigentlich beabsichtigte, und mußte diesen auf den kommenden Winter vertrösten. Oft mahnte er ihn, der sich seit dem April in Zürich aufhielt, zu größerer Vorsicht, wobei er sich auf Informationen stützen konnte, die ihm sein Bruder
verschafft hatte. Er riet ihm, sein neues großes Werk « Evangelium des armen Sünders» nicht in Zürich zu Ende zu drucken; er hoffte, nachdem er die pressepolizeiliche Lage durch seinen Bruder hatte abklären lassen, Zehnder in Baden als Verleger zu gewinnen. Er lud Weitling zu Besprechungen in den Aargau ein, ja, es scheint, Weitling sei im Momente seiner Inhaftierung im Begriffe gewesen, seinen Wohnsitz in den Aargau zu verlegen; dann aber wäre dieser Wohnsitz sicher im «Tanner» in Zofingen aufgeschlagen worden.
Weitling schätzte Siegfried hoch ein. «Ein Felsenmann», so formuliert er noch in seinen Zürcher Gefängnisnotizen, «ganz der Type aus Schillers Bürgschaft. Der wird wohl in dem Drama eine Heldenrolle übernehmen müssen.» Indessen waren derartige Hoffnungen des Gefangenen auf eine
revolutionäre Erhebung seiner Anhänger anläßlich des Vollzuges seiner Ausschaffung wahnhaft übersteigert. Es geschah nichts. Weitling wurde abgeschoben und wanderte bald nach England und Amerika weiter.
Seine Verbindungen zu schweizerischen Gesinnungsgenossen blieben eine rasch vorübergegangene Episode. Von Siegfried aber hören wir einzig noch, daß er im Dezember des gleichen Jahres verstorben ist.
Quellen und Literatur
- Weitling-Korrespondenz im Zürcher Staatsarehiv.
- Ganz geringe Spuren im Zofinger Stadtarchiv: über die Aufnahme von Polenfliicbtlingen
im «Bößli» in Zofingen gibt interessanten Aufschluß ein Brief des Bruders,
F.S.Siegfried, an W.Vischer (1808-1874) in StABS, Priv. Arch. Nr.511.
- G.K., Begierungsrat J.B.Schneider des Kommunismus angeschuldigt (einem hier
wiedergegebenen Briefe Schneiders sind die Angaben über die Thuner Militärschule
entnommen), in Der Kleine Bund vom 19. August 1928.
- Im Jahre 1963 ist in Bern eine dickleibige Biographie Jobann Budolf Schneiders aus
der Feder von alt Bektor Hans Fischer (Biel) erschienen. Soweit ich sehe, findet
darin Gustav Siegfried keine Erwähnung.
- E.Barnikol, Weitling, der Gefangene und seine «Gerechtigkeit». Kiel 1929, in:
Christentum und Sozialismus. Quellen und Darstellungen, herausgegeben von
E.Barnikol.

Rudolf Sutermeister
 
Rudolf Sutermeister, Arzt, von Zofingen, war am 7. Mai 1802 in Wynigen BE geboren und starb am 9. Mai 1868 in seiner Vaterstadt Zofingen. Sproß einer Zofinger Ratsherrenfamilie, wuchs er als Sohn des Pfarrers Johann Georg Sutermeister in Wynigen bei Burgdorf auf. Gymnasial- und Fachausbildung als Arzt erhielt er in Bern (wenigstens ist uns bis jetzt über anderweitige Hochschulstudien nichts bekannt geworden), wo er seit 1819 auch dem Zofinger Studentenverein angehörte. Er eröffnete, 1824 in Aarau patentiert, eine Praxis in seiner Vaterstadt, wo er sich im folgenden Jahre auch verehelichte. Vorübergehend wohnte er an der Kreuzstraße, wo er die Arztpraxis mit der Führung eines landwirtschaftlichen Betriebes zu verbinden versuchte. 1831 kaufte
er in der Oberstadt ein Haus, war aber ökonomisch schon soweit heruntergekommen, daß er nur eine kleine Anzahlung leisten und für den großen Restbetrag nicht einmal einen Bürgen finden konnte. Gerne übernahm er allerlei Funktionen (Armenarzt, Totenbeschauer), die weder an Geld noch Ehre viel einbrachten, aber doch das Einkommen des ökonomisch Unbegabten, der seine Honorarguthaben jahrelang nicht einforderte, offenbar ein klein wenig verbesserten. Nie kam er mehr aus den ökonomischen Bedrängnissen heraus, mehr als einmal ging es nur mit Mühe am Geldstag vorbei. 
Seine Frau, Susanna Magdalene geborene Oberteuffer (1802-1873), Tochter eines Herisauer Arztes, sah sich schon 1838 veranlaßt, an die Sicherung ihres eingebrachten Gutes zu denken, und der Gemeinderat bestellte ihr einen Vormund, der die Hälfte dieses kleinen Vermögens zu ihren und der drei Kinder Gunsten zu verwalten hatte. 1847 wurde dem Arzte Sutermeister gar die väterliche Gewalt entzogen. Mehrfach kam er auch wegen kleiner Polizeivergehen mit den Behörden in Konflikt, saß aber trotzdem seit 1826 in der Schulpflege und wurde immer wieder etwa in ortsbürgerliche Kommissionen abgeordnet.
Es handelt sich also um eine der zahllosen Seldwylerexistenzen aus schweizerischen Kleinstädten, die als solche keine weitere Beachtung erheischen können. Daß aber dieser Zofinger Armenarzt auch als Sozialreformer aufgetreten ist, macht seine Gestalt doch denkwürdig.
Im Jahre 1837 wandte er sich zum ersten Male mit einem sozialreformerischen
Manifest an seine Mitbürger. Sein Titel klingt chiliastisch und
konnte so vielleicht in dem aargauisch-bernischen Grenzgebiet, wo in
jenen Jahren vielfach Wanderprediger, von den Behörden immer wieder verfolgt, herumzogen, am ehesten ein Echo finden. Daß aber Sutermeister auch mit dem französischen Frühsozialismus vertraut war, zeigen mehrfache Indizien. So motivierte seine Frau ihr Gesuch um Vermögenssicherung unter anderem damit, ihr Mann vernachlässige seinen Beruf und trage sich nur mit dem Gedanken einer saintsimonistischen Gemeinschaft. Sutermeister war in solchen Dingen ein Mann der unmittelbaren Verwirklichung, im Unterschiede zu seinem Mitbürger G.Siegfried, der
seine Menschenfreundlichkeit hochachtete, sich in Theorie und Methode aber von ihm abhob, im Gegensatze auch zu W. Weitling, dem er brieflich trotzdem wirksame Hilfe anbot. 
Sutermeister wollte durch einen sozialistischen Versuch für sein Ideal der Sozialreform wirken. «Ein guter Anfang», schrieb er einmal, «ein Seminar, ein anfangs ganz kleiner, aber sich dann immer mehr erweiternder und vervollkommnender Musterstaat, der seine Strahlen, der aufgehenden Sonne gleich, unantastbar nach allen Seiten verbreitet und geeignet ist, alle Vorurteile bei Nacht und Nebel zu verdrängen, das, das muß unser Bestreben, die Waffe und das Mittel sein, womit wir das Böse bekämpfen und eine bessere Zeit schaffen, und das ist und bleibt nun das Ziel aller meiner Bemühungen. »
Es ist wohl erlaubt, bei Sutermeisters Versuchen an Erscheinungen wie die Phalanstères des französischen Frühsozialisten Fourier zu denken. 1840 bat Sutermeister die Behörden, ihm ein dazu geeignetes Haus zur Verfügung zu stellen; ohne Erfolg. Zwei Jahre später, als seine Anhänger
zugenommen hatten, schien die Realisierung ohne jegliche behördliche Unterstützung unmittelbar vor der Türe zu stehen, die Möglichkeit, «eine Liegenschaft anzukaufen und eine gemeinsame Wirtschaft zu eröffnen, der sich dann schnell immer mehrere anschließen und damit eine allgemeine Reform nach sich ziehen werden». Indessen eilte die Phantasie Sutermeisters offenbar der Wirklichkeit zu weit voraus. Es kam weder jetzt, aus den eigenen Kräften der Beteiligten, zu einer Verwirklichung, noch 1844, als Sutermeister nochmals zu solchem Ende an die Behörden gelangte. Weitlings Verhaftung und Wegweisung im Sommer 1843 trug Sutermeister weiter keine Nachteile ein, wurde doch Bluntschlis «Kommissionalbericht über die Kommunisten in der Schweiz» (nach
den bei Weitling vorgefundenen Papieren), Zürich 1843, in Aarau einfach zu den Akten gelegt, offenbar, weil man Bluntschlis Vorgehen einzig im Lichte der aktuellen Parteipolitik sah. Als Sutermeister aber drei Jahre später vom Zofinger Gemeinderat vergeblich ein Lokal (den Rathaus- oder Musiksaal oder auch ein gewöhnliches Unterrichtszimmer) zur Abhaltung von Vorträgen und Diskussionen erbat und nun im «Zofinger Wochenblatt» ankündigte, diese Vorträge fänden in einer Pintenschenke an der Kreuzstraße statt, zog er sich ein behördliches Verbot zu, und als er es übertrat, indem er seinen Vortrag durch einen Gesinnungsgenossen verlesen ließ, Verweis und Androhung der Wegweisung zuhanden seiner Anhänger, die nicht Kantonsbürger waren.
Im Jahre 1847 verlegte er seine sozialreformerischen Projekte auf den privaten Bereich zurück. In äußerste ökonomische Bedrängnis geraten, begehrte er vom Gemeinderat die Freigabe des Vermögens von Frau und Kindern, um mit seinen zwei Söhnen einen landwirtschaftlichen Betrieb
zu eröffnen. Er wollte die jungen Leute dem Handel, dem sie sich gewidmet, entziehen, offenbar ebensosehr aus tiefsitzenden Vorurteilen heraus, die ihre Begründung in verschiedenen Schichten der Überlieferung fanden, wie in der schon blasser gewordenen Perspektive einer endgültigen Sozialreform, bei deren Gelingen alle Kramerei überflüssig wäre; er selber aber hoffte, seine Medizinalpraxis auf dem Lande nach seinen Idealen, aber auch mit größerem Ertrage betreiben zu können, weil er dort nicht mehr durch die städtischen Apotheken, an die er Rezepte ausstellen mußte, gebunden wäre. Wieder erfuhr er Ablehnung, auch von seinem eventuellen Plane einer Auswanderung nach Amerika wollte man nichts wissen. 
Dem Sohne Rudolf (1827-1849) aber schien es vorbehalten, das geistige Erbe des Vaters anzutreten. Als er keine kaufmännische Anstellung finden konnte, trat er, gewiß durch die Vermittlung seines Vaters, mit der Société Icarienne in Paris in Verbindung, und als ein Mittelsmann dem Vormund recht befriedigende Auskünfte über diese Gesellschaft wie über ihren Chef, Herrn Cabet an der Rue Jean-
Jacques 18 in Paris, geliefert hatte, erlaubte ihm der Gemeinderat, über einen Teil des Legates, das ihm von Burgdorfer Verwandten zugefallen war, zu verfügen, um Mitglied der Kolonie zu werden, die die Gesellschaft am Roten Flusse im Texasgebiete auf kommunistischer Grundlage gründen wollte. Da die Februarrevolution zu einer Verschiebung der Abfahrt zwang, schloß sich der junge Sutermeister nun einem Friedrich Gränicher an, der in Amerika zu der Kolonie eines Herrn Suppiger stoßen wollte.
Dort starb Rudolf Sutermeister schon im folgenden Jahre. Der jünger Sohn, Arnold Sutermeister (1829-1905), aber wurde nach allerlei Schwierigkeiten ausgerechnet ein geachteter Bankbuchhalter in seiner Vaterstadt Zofingen.
Zum letzten Male meldete sich der Sozialreformer Sutermeister aus Anlaß der großen aargauischen Verfassungsrevision, die sich über drei Jahre hinzog, zum Worte. Bei den Petitionen aus dem Spätjahr 1851 liegt eine, die weit über die speziellen formalpolitischen und materiellen Volkswünsche hinausgeht. Ihr Autor, der Arzt Sutermeister aus Zofingen, konnte nur in einer Gesamtlösung das Heil sehen, wo der Staat «die Sorge für die bestmögliche Befriedigung aller Bedürfnisse für seine Angehörigen übernimmt». Sutermeisters Zuruf fand auch jetzt nicht das geringste Echo.
Sutermeisters bürgerliches Ansehen hat, wie es scheint, weder durch seine sozialistische Agitation noch durch sein ökonomisches Mißgeschick und seine wenig idealen Familienverhältnisse gelitten. Auch in Aarau ließ man ihn gewähren, und der Sanitätsrat gab einem Auftrage der Regierung, ihn auf seinen Geisteszustand hin zu untersuchen und ihm eventuell das Arztpatent zu entziehen, keine Folge. 
Zeitweilig scheint er in Zofingen sogar einen gewissen Einfluß ausgeübt zu haben; er gehört
vielleicht zu den Männern, die dazu mitgewirkt haben, daß Zofingen in der Jahrhundertmitte so etwas wie die politische Wetterecke des Kantons wurde. Seine eigentlichen Ideale aber traten nicht in die Wirklichkeit, seine Schriften sind zum größeren Teile verschollen, er selbst vergessen.
Sicher hatte ein Mann wie Sutermeister in seiner Zeit eine gewisse Aufgabe zu erfüllen, stellte doch die industrielle Revolution neue soziale und politische Aufgaben, die nirgends sogleich erkannt wurden. Die Wege zu ihrer Lösung aber waren verschieden. Auch im Aargau zog man eine Sozialpolitik, die ein starkes Maß individueller Freiheit wahrte, einer Sozialrevolution, die, wie wir heute vollends wissen, den Einzelnen hätte zum Staatssklaven machen müssen, vor.
 
Schriften
- Tagwache zum Anbruch des Beiches Gottes auf Erden. Oder: Der Armen Erlösung,
der Schwachen Heil, der Beichen Glück, der Menschen höchstes Ziel. Zofingen 1837.
- Ehrerbietige Vorstellung und Bitte an den tit. Großen und Kleinen Bat des löblichen
Kantons Aargau, 13. November 1840.
- Aufruf zur Bildung eines allgemeinen Vereines, zu gegenseitiger, bestmöghchster
Erleichterung, Vervollkommnung und Beglückung. Langenthal 1843.
- Die Not und Bettung. Ein Wort zur Zeit. Zunächst an das liebe Schweizervolk.
Langenthal 1845.
- Keine Armennot mehr! Oder Mittel und Weise der immer zunehmenden Verarmung
und damit verbundenen Not und Gefahr für Alle sicher vorzubeugen und abzuhelfen.
2. Aufl. Langenthal 1845.
344
- Die schreckliche Vernichtung unseres bestehenden, sogenannten Bechts oder Unrechts
durch das wahre Christentum. Erwiesen in einem Schreiben eines Schuldners an
seinen Gläubiger (Motto: «Das Licht scheinet in der Finsternis, aber die Finsternis
hat es nicht begriffen»). Gedruckt und in Kommission bei Bud. Steinegger in Zofin¬
gen, 1846, 20 S.
- Allen Aargauern zu gefälliger Beachtung empfohlen. Unser Zustand im Kulturstaat
Aargau und die neue Verfassung, oder: warum wir noch keine haben, wo es fehlt
und was da zu machen ist. Zofingen, September 1851.
- Ehrerbietige Vorstellung und Eiidadung an meine lieben Mitmenschen, undatiert.
Erhalten scheinen einzig die Ehrerbietige Vorstellung von 1840 (bei den Akten des
aargauischen Staatsarchivs), Die schreckliche Vernichtung (aargauische Kantons¬
bibliothek), Allen Aargauern zu gefälliger Beachtung empfohlen (aargauische Kan¬
tonsbibliothek, Sammelband Verfassungsrevision 1849/52, C 4769 d), Ehrerbietige
Vorstellung und Einladung an meine lieben Mitmenschen (aargauische Kantons¬
bibliothek, Varia helvetica 49 q, e).
Quellen
- Kleinratsprotokolle und Akten in Aarau.
- Gemeinderatsprotokolle, Akten und Korrespondenzen im Stadtarchiv Zofingen.
- Weitling-Korrespondenz im Staatsarchiv Zürich.
Der Verfasser dieser beiden Biographien hatte eine Zeitlang Material gesammelt für
eine Studie über «Radikalismus und Frühsozialismus im Aargau», sah sich aber ver¬
anlaßt, dieses Vorhaben angesichts anderer Aufgaben, die an ihn herantraten, aufzu¬
geben.
 


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